Die Prozesse werden intelligent

„Nicht ins Blaue hinein automatisieren“

von - 16.04.2023
Mit intelligenter Prozessautomatisierung lassen sich Abläufe schneller und fehlerfrei durchführen, erläutert Thomas Böing, ERP-Consultant beim IT-Dienstleister und Software-Spezialisten Comarch. Allerdings sollten Anwender sorgfältig prüfen, welche Abläufe von IPA profitieren, und sich davor hüten, einfach draufloszuautomatisieren.
com!professional: Herr Böing, wodurch unterscheidet sich intelligente Prozessautomatisierung, also IPA, von Ansätzen wie Robotic Process Automation und Business Process Management?
Thomas Böing: RPA ist eine Software-Technologie, die Front- und Backoffice-Prozesse automatisiert durchführt, etwa als Software-Roboter beziehungsweise Bots. Diese ahmen Menschen nach, wenn sie einen Computer bedienen, Anwendungen nutzen und Prozesse befolgen. Intelligente Prozessautomatisierung (IPA) geht einen Schritt weiter – zur Verbindung von RPA mit weiteren Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI), Machine Learning (ML), optischer Zeichenerkennung (OCR), Spracherkennung (NLP), Datenanalyse und Chat-Interaktionen.
com! professional: Bots werden also gewissermaßen intelligent?
Böing: Ja, sie werden neben einer ausführenden Aufgabe auch mit einer Art Intelligenz ausgestattet. Dadurch können sie Entscheidungen treffen, wie sie Aufgaben in Abhängigkeit von Daten ausführen.
com!professional: Und wie ist Business Process Management in diesem Kontext einzuordnen?
Böing: Während RPA und IPA eher die technologische Komponente darstellen, ist das Business-Prozessmanagement (BPM) auf der analytischen Ebene anzusiedeln. Der Fokus liegt auf Geschäftsabläufen. Diese werden identifiziert, dokumentiert, gestaltet, optimiert und gesteuert. Hier spielt eine strategische oder operative Zielsetzung eine wichtige Rolle.
com! professional: Was sind die wichtigsten Einsatzfelder von IPA?
Böing: Aufgrund der Fortschritte im Bereich der KI- und ML-Technologie ist beispielsweise ein Einsatz im Bereich der Kundenservices in Form eines Bots mit Sprach- oder Textverarbeitung zu sehen. Hier können Tätigkeiten wie Servicemeldungen für eine Störung vollständig automatisiert werden. Auch die Abwicklung eines Kundenauftrags in einem Callcenter lässt sich ohne menschliche Interaktion umsetzen. Es eignen sich insbesondere Geschäftsprozesse, die arbeitsintensiv sind sowie einen hohen manuellen Anteil haben und dadurch besonders fehleranfällig sind. Auch Prozesse mit unterschiedlichen Prozessbeteiligten, etwa Kunde, Service und Lieferant, kommen in Frage. Das gilt auch für Abläufe, die ein mittleres bis hohes Transaktionsvolumen oder lange Laufzeiten haben sowie für Standardprozesse mit hohem Auftragsvolumen.
com! professional: Wo sehen Sie die größten Vorteile von Intelligent Process Automation?
Böing: Intelligent Automation ermöglicht eine stärkere Unterstützung der Compliance bei gleichzeitiger Risikominimierung. Bearbeitungsfehler werden reduziert, Zeit und Kosten eingespart. Auch ein besserer Service und eine größere Zufriedenheit der Kunden rücken so in greifbare Nähe. Zudem entsteht die Möglichkeit zur Orchestrierung von End-to-End-Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, inklusive der Einbindung von unterschiedlichen Legacy-Systemen und Prozessbeteiligten. Weiterhin ist eine größere Skalierbarkeit bei einer Steigerung der Prozess-Workloads gegeben. Ein Beispiel ist das Weihnachtsgeschäft, wenn Bots bei mehr Workloads zum Einsatz kommen und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung sichergestellt wird. Generell werden Mitarbeiter von Routineaufgaben entlastet. Das macht Kapazitäten für wichtigere Themen frei, etwa die nachhaltige Stammdatenpflege, den Customer-Service und die Dispodaten-Analyse.
Thomas Böing
ERP-Consultant bei Comarch
Foto: Comarch
„Gerade mittelständische Unternehmen wollen wieder­kehrende Prozesse mit vielen manuellen Interaktionen automatisieren, um die Effizienz zu steigern und Prozesskosten einzusparen.“
com! professional: Welche Herausforderungen müssen Unternehmen bewältigen, wenn sie IPA einführen?
Böing: Der größte Fehler ist, ins Blaue hinein zu automatisieren. Denn nicht alle Prozesse eignen sich gleichermaßen dafür. Unerlässlich ist es, dies mit der realen Welt der Prozessabwicklung abzugleichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Mitarbeiterakzeptanz. Denn bei Beschäftigten können Befürchtungen hinsichtlich des Wegfalls von Arbeitsplätzen auftreten.
com! professional: Wie lassen sich solche negativen Effekte vermeiden?
Böing: Unternehmen sollten sich umfassend informieren, was möglich ist und was davon sie wirklich benötigen. Dies sollte mit Blick auf die strategische Ausrichtung und begleitet von ausführlicher Beratung durch Experten und Informationen aus verschiedenen Quellen umgesetzt werden. Unternehmen sollten zudem möglichst alle Prozesse durch die Brille der eigenen Kunden oder weiterer Prozessbeteiligter betrachten, also von Lieferanten, Vertriebspartnern und Mitarbeitern. Die Frage, was sich die Prozessbeteiligten wirklich wünschen, ist von zentraler Bedeutung.
com! professional: Zum Abschluss noch die Frage, für welche Unternehmen IPA in erster Linie in Betracht kommt, vorzugsweise Großunternehmen oder auch den Mittelstand?
Böing: Der Einsatz von intelligenter Prozessautomatisierung ist kein Thema, mit dem sich ausschließlich Konzerne beschäftigen, sondern auch für den Mittelstand oder kleinere Unternehmen relevant. Gerade mittelständische Unternehmen wollen wiederkehrende Prozesse mit vielen manuellen Interaktionen automatisieren, um ihre Effizienz zu steigern und Prozesskosten einzusparen. Hier kann schon die automatisierte Verarbeitung des Webshop-Auftrags vom Eingang über eine automatische Kommissionierung bis zum Labeling und dem Versand ein signifikanter Vorteil sein. Denn dadurch lässt sich die Durchlaufzeit senken und die Kundenzufriedenheit erhöhen. Hinzu kommt, dass gerade kleinere Unternehmen mitunter offener für den Einsatz und die Nutzung moderner Technologien wie IPA sind.
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