CRM-Probleme im E-Commerce: Der unbekannte Kunde

Häufig fehlt auch das nötige Bewusstsein

von - 21.10.2019
Doch es sind nicht nur technologische Hindernisse, die einem effizienten Umgang mit Kundendaten im Wege stehen. Immer wieder fehlt es in den Unternehmen auch einfach am nötigen Bewusstsein für das Thema. "Vor allem Händler, die aus dem stationären Umfeld kommen, tun sich schwer mit dem adäquaten Umgang mit Kundendaten. Oft fehlt dort eine kundenzentrische Sicht", weiß Defacto-COO Grass.
Viele Retailer, die in den letzten Jahren zu Multichannel-Händlern wurden, seien noch immer stark Produkt- und Merchandise-getrieben und hätten nur wenig Sinn für die Bedeutung einer guten User Experience. Ecom-Consulting-Geschäftsführer Himmel ergänzt: "Genauso gibt es im Online-Bereich aber auch viele, die vor allem für die Neukundengewinnung viel tun, dabei aber die Pflege ihrer Bestandskunden vergessen."
Das sei nicht zuletzt deshalb heikel, weil Bestandskundenmarketing im E-Commerce mittlerweile das größte Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb sei - auch, um Kundenloyalität und Bewertungen zu erzielen. "Eigentlich geben die Kunden ihre Daten gerne Preis, wenn sie dafür einen Mehrwert erhalten", so Himmel, "aber das ist für viele Händler eine Hürde, weil es ­eines entsprechenden Zeit- und Content-Aufwands bedarf, um solche Mehrwerte zu schaffen."

Politische Aspekte

Und schließlich gebe es noch ein weiteres Hindernis für ein konsequentes CRM: strategische beziehungsweise politische Aspekte. Dies sei etwa der Fall, wenn ein Händler ­eigentlich genau wisse, was seine Kunden wollen, diesen aber ­etwas ganz anderes anbiete - entweder weil volle Lager für einen entsprechenden Abverkaufsdruck sorgten oder ein Hersteller nachdrücklich eine bestimmte Schwerpunktsetzung verfolge.
Die Konsequenz bleibe die gleiche: Statt als individuelle Personen wahrgenommen zu werden, würden die Kunden einfach als gesichts­lose Masse angesprochen. "Dabei wünschen sich immer mehr Endkunden eine möglichst gut personalisierte Customer Experience“, erklärt Martin Grass von Defacto. "Eine gut umgesetzte Personalisierung wäre gleichzeitig eines der stärksten Argumente für das Sammeln von Daten." Doch ein großer Teil der Händler, online wie offline, lässt diese Chance weiterhin ungenutzt.

Die richtigen Lösungen stehen bereit

Nötig ist also ein Bewusstseinswandel. Doch damit dieser gelingen kann, muss der Handel sein Datenproblem in den Griff kriegen. In vielen Fällen erweist sich das als schwerer als gedacht: "Viele Händler sind im ERP-Dilemma gefangen und wollen alle Daten an einem Ort vereinen und stellen sich das unnötig schwierig vor", erzählt Martin Himmel von Ecom Consulting. "Dann bohren sie ihr ERP auf, um auch Online-Daten integrieren zu können. Dabei lassen sich gar nicht alle Daten zusammenbringen. Aber es lässt sich immer eine Schicht darüberlegen, die die verschiedenen Daten aggregiert. Dann kann auch wieder festgelegt werden, dass jede Datenquelle dort führend ist, wo sie den höchste Zuständigkeitsgrad besitzt."
Die Lösung, von welcher der Berater spricht, nennt sich Customer Data Platform (CDP) und bietet eine technische Brücke, um in verschiedenen Systemen verstreute Kundendaten zusammenzuführen und zu validieren.
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"Auch im E-Commerce-Bereich gibt es bei vielen Händlern Datensilos": Holger Stelz, Managing Director CDH Solutions bei Uniserv
(Quelle: Uniserv )
Wie Holger Stelz von Uniserv berichtet, gebe es gerade bei mittelständischen Unternehmen oft noch Vorbehalte, in eine entsprechende Software-Lösung zu investieren. "Das Thema Kundendaten kommt klassisch aus der Welt der Großunternehmen. In den letzten zehn Jahren sind durch die digitale Transformation jedoch so ­viele neue Handelsunternehmen entstanden, sodass es auch für KMUs erfolgskritisch ist, die Kundendaten astrein zu halten. Zudem ist die entsprechende Software heute auch für kleine Unternehmen erschwinglich." Das sieht auch Defacto-COO Grass so: "Ein guter Umgang mit Kundendaten ist nicht zwingend eine Budgetfrage. Oft ist es sogar so, dass gerade Unternehmen mit einem großen Budget eher geneigt sind zusätzliche Funktionen einzukaufen, die keinen maßgeblichen Beitrag zur Kundenbindung leisten. Mittelständler gehen mit ihren Ressourcen bewusster um. Gutes Kundenmanagement hat nicht so viel mit Geld zu tun, sondern eher mit der Frage, wie gut ich mich in meinen Kunden hineinversetzen kann und welche Ressourcen ich für den Prozess allokiere. Meist ist es hier vornehmlich eine Frage des zeitlichen Aufwands." Und Ecom-Consulting-Geschäftsführer Himmel weiß: "Für gutes Kundendatenmanagement braucht es keine Eine-Million-Euro-­Lösung. Oft reicht schon Google Analytics, um gute Rückschlüsse auf das Kaufverhalten zu ziehen, und es gibt sehr gute Tools, die schon für wenig Geld viele Möglichkeiten bieten." Auch einfache CRM-Lösungen lieferten Händlern heute komplette Kampagnenvorschläge, die aufzeigten, wie viele Nutzer absprungsgefährdet seien, wo deren Interessen lägen und mit welchen Maßnahmen sich diese am besten reaktivieren ließen. "Man fragt sich, warum das nicht jeder einsetzt", so Himmel.
Eine ergänzende Lösung in Sachen Kundenbeziehungsmanagement kann für geeignete Händler auch die Kooperation mit einem bestehenden Kundenbindungsprogramm sein, so wie der kürzlich erfolgte Beitritt des Modehändlers About You zu Payback. "Ziele wie die Gewinnung von Neukunden, die Warenkorbsteuerung und die Aktivierung beziehungsweise ­Reaktivierung von Kunden sind integrale Bestandteile jeder Official-Online-Partnerschaft", erklärt Torsten Hautmann, Vice President Digital Sales von Payback. Der Manager hält das Multipartnersystem gerade im Hinblick auf das Kundendatenmanagement für besser geeignet als eine Insellösung: "Payback-Partner bekommen über das System nicht nur Neukunden, sondern haben auch bessere Chancen bei der Reaktivierung von Kunden. Diese sind ja meist noch bei den anderen Payback-Partnern aktiv und können so besser erreicht werden." Die CRM-Experten und -Berater bestätigen das generelle positive Potenzial von Kundenbindungssystemen wie Payback, empfehlen aber eine differenzierte ­Betrachtungsweise. "Das hängt vom Geschäftsmodell der Händler ab", so Uniserv-Manager Stelz. Wenn ein Händler an der Masse der Kunden interessiert sei, sei das sicher sinnvoll, jedoch nicht mehr, als Kundendaten woanders einzukaufen. "Letztlich ist dabei immer nur die Qualität der Daten ausschlaggebend." Berater Martin Himmel kann den Entschluss von About You zur Zusammenarbeit mit Payback nachvollziehen: "Payback ist seit 20 Jahren am Markt und ist sehr gut dabei, Kohortenanalysen zu machen und den Händlern Insights zu bieten, um voneinander zu lernen."
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