Die ITK-Branche in unsicheren Zeiten

Großer Fachkräftemangel

von - 16.11.2022
Vor allem die fehlenden Fachkräfte machen den Unternehmen zu schaffen. Laut Bitkom sind in der deutschen Wirtschaft 96.000 Stellen für IT-Fachkräfte vakant. Deswegen wundert es auch nicht, dass derzeit 60 Prozent der CIOs über großen oder sogar sehr großen Fachkräftemangel klagen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „IT-Trends 2022“ von Capgemini.
„Wir arbeiten definitiv in einer Branche, in der der Bedarf die aktuell verfügbaren Kapazitäten am Markt übersteigt“, konstatiert Steffen Riedling, Head of Application Practices bei Capgemini. Das bestätigt sein Kollege Sven L. Roth: „Das größte Hindernis für die Branche ist und bleibt der Mangel an gut ausgebildeten und erfahrenen IT-Fachkräften. Die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt bremst die Digitalisierung in Deutschland massiv aus.“ Selbst Herausforderungen wie die derzeitige Halbleiter-Knappheit hätten im Vergleich dazu nur indirekte Auswirkungen auf die Branche.
Diese Einschätzung teilt Marco Burk von CGI: „Wir sehen einen weiterhin steigenden Bedarf nach IT-Ressourcen, der im drastischen Kontrast zu den niedrigen Bewerberzahlen steht.“ Hinzu komme, dass Unternehmen durch die gesamtwirtschaftliche Lage gezwungen seien oder künftig gezwungen sein würden, deutlich kosten- und ressourcenschonender zu arbeiten. „Das könnte einen negativen Einfluss auf das Wachstum von IT-Budgets haben – und das schadet dem gesamten IT-Markt.“
Olaf Riedel weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Fachkräftemangel mitnichten nur den IT-Bereich betrifft, sondern auch zahlreiche Fachabteilungen. Riedel ist bei Ernst & Young Leiter des Sektors Technologie, Medien & Telekommunikation in der DACH-Region. So seien zum Beispiel qualifizierte Berater besonders rar, da die Auslastung sehr hoch und ihre Anzahl in aller Regel knapp bemessen sei. „Hinzu kommt, dass eine hohe Volatilität und starke Veränderungsprozesse in dem gesamten unternehmerischen Umfeld stattfinden.“
Sven L. Roth
Head of Business & Technology Solutions bei Capgemini
Foto: Capgemini
„Das größte Hindernis für die Branche ist und bleibt der Mangel an gut ausgebildeten und erfahrenen IT-Fachkräften.“
Marco Burk zählt den Kampf um Fachkräfte auf lange Sicht zu den größten Herausforderungen eines Unternehmens. Zudem werde die Zufriedenheit mit der Gehaltsentwicklung abnehmen, nicht zuletzt getrieben durch die weiter steigende Inflation. „Weil auch die Loyalität der Fachkräfte gegenüber den Arbeitgebern durch das Homeoffice abnimmt, besteht die Gefahr, dass sich durch das gegenseitige Abwerben von Mitarbeitenden der IT-Arbeitsmarkt auf absehbare Zeit nicht abkühlt, sondern sich zum Teil selbst befeuert.“ Denn jeder neue Mitarbeiter brauche zunächst eine Einarbeitungszeit. Er oder sie müsse den neuen Arbeitgeber erst einmal kennenlernen, um produktiv zu arbeiten. „Wenn dies dann mit 15 Prozent mehr Gehalt und kürzerer Verweildauer einhergeht, kann der negative Impact deutlich sein“, ergänzt Burk.
Die Vorstellung, alle offenen Stellen in den IT-Abteilungen zu besetzen oder sie personell sogar deutlich aufzustocken, dürfte sich realistisch betrachtet also kaum umsetzen lassen. Ganz im Gegenteil – das Problem dürfte sich in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen. So schätzen die für die „IT-Trends 2022“ von Capgemini befragten IT-Verantwortlichen, dass fast 23 Prozent der IT-Mitarbeiter in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen.
Allmählich wird die vorhandene Altersstruktur im IT-Bereich als Problem wahrgenommen. Mehr als die Hälfte der befragten CIOs sind der Meinung, dass der demografische Wandel Probleme bereiten wird. Dabei ist die Sorge um einen Know-how-Verlust am größten, gefolgt von der Verschärfung des Fachkräftemangels und dem Abgang von Leistungsträgern.
Doch die Altersstruktur hat nicht nur Nachteile: Mit 12,5 Prozent gibt es eine kleine Gruppe von CIOs, die dem demografischen Wandel positive Seiten abgewinnt. Er ermögliche vor allem, ein Unternehmen neu auszurichten und es außerdem technologisch neu aufzustellen.
Knapp ein Drittel der Chief Information Officer erwartet laut Capgemini hingegen keine Auswirkungen der Altersstruktur. Mehr als die Hälfte von ihnen geht davon aus, dass bestimmte Qualifikationen irrelevant werden und nicht ersetzt zu werden brauchen. Etwas mehr als ein Viertel will als Folge der Altersstruktur mehr Leistungen hinzukaufen und circa jeder fünfte CIO will die Effizienz so stark erhöhen, dass weniger Arbeitskräfte benötigt werden. So planen laut Capgemini-Studie mehr als 60 Prozent der CIOs, zum Beispiel Routinearbeiten zunehmend von Software-Robotern anstatt von Mitarbeitern erledigen zu lassen.
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