Die Cloud zwischen dem CLOUD Act und GAIA-X

Der europäische Weg: Gaia-X

von - 19.10.2021
Die Verhältnisse in den USA machen europäischen Unternehmen das Leben schwer. Denn der rechtlich vorgezeichnete Weg, auf Datenübertragungen in die USA zu verzichten und auf europäische Anbieter zu setzen, ist kaum umzusetzen. Ein eventuelles Nachfolge-Abkommen für Privacy Shield dürfte wie seine Vorgänger vor Gericht scheitern. Klare rechtliche Verhältnisse sehen anders aus. Am Horizont zeichnet sich jedoch ein Lösungsansatz ab: GAIA-X. Dabei handelt es sich zwar nicht, wie vielfach angenommen, um eine europäische Cloud, dennoch könnten viele Unternehmen von GAIA-X profitieren.
GAIA-X ist ein Projekt von Europa für Europa. Dabei geht es darum, eine europäische Dateninfrastruktur zu entwickeln. „Aus der Vernetzung dezentraler Infrastrukturdienste soll eine Dateninfrastruktur entstehen, die zu einem homogenen, nutzerfreundlichen System zusammengeführt wird, in dem Daten sicher und vertrauensvoll verfügbar gemacht und geteilt werden können“, formuliert das Bundeswirtschaftsministerium (BWMi). Ziel sei eine sichere und vernetzte Dateninfrastruktur, die den höchsten Ansprüchen an digitale Souveränität genüge und Innovationen fördere.

Europäische Cloud-Service-Anbieter (Auswahl)

Unternehmen

Leistung

A1 Digital www.a1.digital

Europäische Cloud-Plattform Exoscale

All for One Group www.all-for-one.com

Migration und Betrieb einer Cloud-Infrastruktur als Managed Service

Axians www.axians.de

Cloud-Beratung und Cloud-Transformation

Baden Cloud (Leitwerk) www.badencloud.de

IaaS und Rechenzentren-Verbund in Baden

Cancom www.cancom.de

Managed Hybrid Cloud Provider

Cloud&Heat www.cloudandheat.com

Energieeffiziente digitale Infrastruktur und Managed Cloud-Servces

Ionos Cloud cloud.ionos.de

Cloud-Computing-Anbieter mit eigenem Code-Stack

Orange https://cloud.orange-business.com

Managed Services, Infrastruktur und Consulting

OVH Cloud www.ovhcloud.com

Webhosting, Cloud-Services und dedizierte Server

Telekom https://cloud.telekom.de/de

IT-Ressourcen und Dienstleistungen als Infrastructure- & Platform-as-a-Service

„Der Startschuss war im Sommer 2019“, berichtet Ronny Reinhardt, Team Lead Business Development beim Cloud-Anbieter Cloud&Heat Technologies mit Sitz in Dresden. „Das Projekt ist im BWMi entstanden und man hat dann schnell Unternehmen mit an Bord geholt. Es ist überführt worden in ein großes Projekt von Unternehmen für Unternehmen, ist also kein staatsgetriebenes Projekt.“ Mit GAIA-X entsteht kein europäischer Cloud-Provider und kein Konkurrenzprodukt zu Hyperscalern wie AWS oder Microsoft. Vielmehr soll GAIA-X Elemente über offene Schnittstellen und Standards vernetzen, um Daten zu verknüpfen und eine Innovationsplattform zu schaffen. Reinhardt betont: „Es ist ein Missverständnis, dass mit GAIA-X ein europäischer Hyperscaler entstehen soll, das ist ganz explizit nicht das Ziel. Es geht eher darum, ein verteiltes Ökosystem zu entwickeln, um mehr digitale Souveränität zu erreichen. Es gibt gemeinsame Spielregeln, Mindeststandards und die Software-Architektur.“
Unter den 22 Gründungsmitgliedern der GAIA-X-Gesellschaft finden sich BMW, Bosch, Fraunhofer-Gesellschaft, Orange, OVH, SAP, Telekom und Siemens. Inzwischen hat GAIA-X mehr als 200 Mitglieder. Dazu zählen auch Unternehmen aus China und den USA wie Huawei, Alibaba, Amazon, Google, Microsoft, Palantir und Salesforce. Sie gelten nicht gerade als Paradebeispiele für die von GAIA-X angestrebten Werte wie Datenschutz, digitale Souveränität und Transparenz. „Unternehmen wie Amazon und Microsoft sind auch dabei“, bestätigt Reinhardt. „Denn es ergibt keinen Sinn, ein solches System zu bauen, wenn man auf Abschottung setzt. Die zentralen Schaltstellen in der Stiftung (GAIA-X AISBL) können jedoch nur von Unternehmen besetzt werden, die ihren Hauptsitz in Europa haben.“ Die Komponenten zum Bau des GAIA-X-Ökosystems sollen ebenso Open Source sein wie die Schnittstellen.
Kai Grunwitz
Geschäftsführer von NTT in Deutschland
Foto: NTT
„Ohne das Cloud-Ökosystem GAIA-X werden wir keine digitale Souveränität erreichen“
Kai Grunwitz, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters NTT in Deutschland, erklärt im Interview mit com! professional, welche Mehrwerte GAIA-X liefern kann und wie Unternehmen davon profitieren.
com! professional: GAIA-X gilt als so etwas wie die europäische Cloud. Ist das eine Lösung für die Probleme nach dem Privacy-Shield-Aus?
Kai Grunwitz: Das Urteil des EuGH ist eindeutig und lässt wenig Spielraum für Interpretationen. Ein rechtssicherer Datenaustausch mit US-Cloud-Anbietern ist momentan nicht vollumfänglich möglich, darum besteht Handlungsbedarf. Mit GAIA-X kann die EU ein auf europäischen Standards basierendes Cloud-Ökosystem erschaffen, das Innovationen in unserem Wirtschaftsraum fördert, ihn unabhängiger von chinesischen und amerikanischen Anbietern macht und sowohl Datensicherheit als auch Datensouveränität gewährleistet. Ich spreche bewusst nicht von einer europäischen Cloud, sondern einem Cloud-Ökosystem, weil das Ziel von GAIA-X eine stetig wachsende Multi-Cloud-Umgebung ist.
com! professional: Warum brauchen wir GAIA-X? Was ist der Mehrwert? Warum etwas Neues, wenn es schon Bewährtes gibt?
Grunwitz: Weil wir sonst keine digitale Souveränität erreichen – das momentan etablierte Cloud-Umfeld erlaubt so etwas nicht. GAIA-X steht ja nicht nur für hohen Datenschutz und einen sicheren Umgang mit den Daten von Unternehmen und Menschen, sondern auch für Offenheit und Transparenz. Durch den konsequenten Einsatz von Open Source und offenen Schnittstellen erreicht GAIA-X eine hohe Interoperabilität, die einen Vendor-Lock-in verhindert und es kleinen Anbietern erlaubt, ihre Lösungen in das europäische Cloud-Ökosystem zu integrieren. Zudem schafft die Transparenz auf allen Ebenen – von Technologien über Schnittstellen bis zur Umsetzung von Regeln – neue Entscheidungsgrundlagen für Unternehmen. Sie können neben der Umsetzung von Datensicherheitsanforderungen beispielsweise Aspekte wie die Ökobilanz eines Cloud-Services überprüfen.
Ein großes Plus sind selbstverständlich die Regeln und Standards für den Datenschutz, die sowohl Unternehmen als auch dem individuellen Nutzer einen sicheren Umgang mit den Daten gewährleistet. Zum Beispiel im Kontext von persönlichen oder gesundheitsbezogenen Daten ist das ein gewaltiger Vorteil für den europäischen Wirtschaftsraum.
com! professional: Warum wird die Datensouveränität immer hervorgehoben?
Grunwitz: Menschen und Unternehmen müssen selbstbestimmt über die Speicherung und Verarbeitung ihrer Daten entscheiden können. Wer auf die Daten zugreift und sie nutzt, darf nicht von außen vorgegeben werden. Im Kontext von GAIA-X bedeutet Datensouveränität aber auch gleichzeitig mehr europäische Souveränität, also weniger Abhängigkeit von den global dominierenden Hyperscalern. Schließlich sind Cloud-Plattformen das Rückgrat der digitalen Wirtschaft, und Europa kann hier nicht nur am Tropf anderer Länder hängen. Wir benötigen eigenständige und starke Cloud-Alternativen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
com! professional: Wo steht das Projekt heute und was sind die nächsten Schritte?
Grunwitz: GAIA-X ist ob der hohen Komplexität und der vielen Beteiligten ein Mammutprojekt. Insofern sind die derzeitigen kleinen Verzögerungen nicht überraschend, aber Europa muss ganz klar die Schlagzahl erhöhen, um mit der Geschwindigkeit der Cloud-Giganten mitzuhalten. Wichtig ist jetzt vor allem, Funktionalitäten bereitzustellen, um das Projekt zum Leben zu erwecken und erste erfolgreiche Anwendungen zu etablieren. Die im Zuge der Pandemie gestiegene Nachfrage nach sicheren und vertrauenswürdigen Cloud-Lösungen ist eine gute Basis, und das Förderprogramm des BWMi mit einer Fördersumme von mehr als 185 Millionen Euro kann für einen Schub bei der Entwicklung von Anwendungsbeispielen sorgen und insbesondere kleine Anbieter stärken. Aber ganz klar, GAIA-X muss Fahrt aufnehmen, vor allem da sich GAIA-X zukünftig immer zu einem gewissen Grad an der Innovationsgeschwindigkeit der Cloud-Giganten messen lassen muss.
com! professional: Warum sind US-amerikanische Cloud-Giganten wie Amazon und Microsoft in dem Projekt dabei?
Grunwitz: Ich kann die Irritationen nachvollziehen, doch man muss konstatieren, dass die Cloud-Giganten viel Know-how und umfangreiche Ressourcen einbringen, die das Projekt weiterbringen. Sie übernehmen nicht die Führung – es ist und bleibt eine europäische Initiative, an deren Spielregeln hinsichtlich Interoperabilität und Datenschutz sich alle Beteiligten halten müssen. Die beiden Cloud-Welten werden koexistieren und für jede wird es künftig spezielle Anwendungsfälle geben. Wo es um die Verarbeitung anonymer Daten geht und vor allem wo es auf Rechenpower ankommt, spricht nichts gegen die Nutzung von US-Clouds. Wo dagegen Transparenz und Sicherheit für persönliche Daten benötigt werden, beispielsweise im Gesundheitswesen, dürfte schnell GAIA-X die Nase vorn haben.
com! professional: Wie kam es dazu, dass sich NTT in dem Projekt engagiert?
Grunwitz: Als japanischer Anbieter von Telekommunikations- und IT-Lösungen teilen wir viele Werte mit Europa, gerade im Bereich Datensicherheit, und begrüßen das Konzept eines souveränen europäischen Cloud-Ökosystems. Zudem sind Connectivity von der Cloud bis hin zu Edge-Devices sowie Datencenter und Cloud unser Kerngeschäft. Darum bringt sich NTT aktiv bei GAIA-X ein.
com! professional: Wie sehen die Cloud, der Umgang damit und GAIA-X in fünf Jahren aus?
Grunwitz: Die Cloud-Nutzung wächst nicht zuletzt durch die Pandemie rasant. Dieser Trend lässt sich nicht umkehren. Entscheidend für GAIA-X wird sein, schnell eine kritische Menge von Anwendungsfällen und Lösungen zu bieten, damit ein reichhaltiges und lebendiges Cloud-Ökosystem entsteht, das Unternehmen und Behörden nutzen können. Gelingt dieser wichtige Schritt, dann stehen die Chancen gut, dass GAIA-X in fünf Jahren einen Großteil des europäischen Cloud-Geschäfts in sich vereint. Aber es geht um Geschwindigkeit. Die Politik in Europa und Deutschland muss die Rahmenbedingungen schnell verbessern, um weitere Anreize für einen digitalen europäischen Cloud-Marktplatz zu schaffen.

Digitale Datensouveränität

Im Zusammenhang mit GAIA-X taucht immer wieder der Begriff der digitalen Souveränität auf. Das meint in erster Linie die Möglichkeit, im digitalen Raum unabhängig und selbstbestimmt handeln und entscheiden zu können. GAIA-X schafft eine Dateninfrastruktur, die eine solche vollständige Kontrolle über gespeicherte und verarbeitete Daten garantiert. Reinhardt formuliert es so: „Datensouveränität beschreibt die Selbstbestimmung: Was passiert mit meinen Daten? Wenn es technische Lösungen gibt, um das zu vereinfachen, dann ist das hilfreich. Es gibt auch spezifische Branchen-Lösungen, etwa im Gesundheitssektor. Eine Vision sieht so aus, dass ein Unternehmen über GAIA-X im Katalog auswählen kann, in welchem Bereich es sich befindet und welchen Regularien es unterworfen ist, und dann nur die Services angezeigt bekommt, die diese Regularien erfüllen.“
Ronny Reinhardt
Team Lead Business Development bei Cloud&Heat Technologies
Foto: Cloud&Heat
Es ist ein Missverständnis, dass mit GAIA-X ein europäischer Hyperscaler entstehen soll, das ist ganz explizit nicht das Ziel.
Der nächste Schritt für GAIA-X ist die prototypische Implementierung erster Services. Das soll ab Mitte 2021 den Grundstein legen, um konkrete Anwendungsfälle auszuarbeiten. Das BWMi stellt dafür knapp 200 Millionen Euro bereit. Es folgen ein Wettbewerb für Leuchtturmprojekte und die Entwicklung föderierter Services, die im zweiten Halbjahr 2021 als Herzstück von GAIA-X den sicheren und vertrauensvollen Austausch von Daten ermöglichen sollen. „Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen“, räumt Reinhardt ein. „Wir sind, was die Rahmenbedingungen angeht, erst am Anfang. Es ist ein ambitioniertes und langfristiges Projekt. Wenn wir Anfang 2022 erste Prototypen im Feld haben, dann wäre das aus meiner Sicht ein Erfolg.“
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