Schneller werden

Wie sich die IT verändern muss

Quelle: Foto: everything possible / Shutterstock.com
22.07.2016
Research Director Ilona Hansen von Gartner erläutert im Gespräch mit com! professional, welche Anforderungen die Digitalisierung an IT-Abteilungen stellt.
Ilona Hansen: Research Director bei Gartner
Quelle: (Quelle: Gartner )
Ilona Hansen ist Research Director in der Application Research Group beim IT-Marktforschungsunternehmen Gartner, wo sie vor allem die Themen Customer Relationship Management (CRM), Partner Relationship Management (PRM) und Vertriebsautomatisierung verantwortet. Im Gespräch mit com! professional erklärt sie, wie sich IT-Abteilungen im Zuge der Digitalisierung verändern müssen und warum es keine gute Idee ist, einen Chief Digital Officer (CDO) als zusätzliche Position in der obersten Führungsebene einzuführen.
com! professional: Sie beschäftigen sich in Ihrer Beratung viel mit Unternehmen, die durch digitale Transformation neue Märkte erobern wollen. Wie muss sich die IT dafür verändern?
Ilona Hansen: Die IT muss dezentraler werden. Der CIO oder IT-Leiter mag zwar noch ganz klassisch für die Ressourcen verantwortlich sein, tatsächlich sitzen die IT-Mitarbeiter künftig aber immer häufiger in den Fachbereichen. Diese Art der „Business-Unit-IT“ ist auf dem Vormarsch.
com! professional: Welche Vorteile versprechen sich Unternehmen von einer solchen dezentralen IT-Struktur?
Hansen: Es geht vor allem darum, schneller zu werden. Nehmen wir den Vertrieb. Kunden informieren sich heute vor einem Kauf auf unterschiedlichsten Kanälen, etwa in sozialen Netzwerken oder Foren, die nur sehr bedingt unter der Kon­trolle einer Vertriebsorganisation stehen. Man geht davon aus, dass der Kunde bereits mehr als die Hälfte der für eine Kaufentscheidung wichtigen Phasen durchlaufen hat, bevor er überhaupt mit dem Verkäufer in Kontakt tritt. Die Zeitspanne, in der sich seine Entscheidung noch beeinflussen lässt, ist dadurch sehr viel kürzer geworden. Ich muss also optimal agieren, um auf dem verbleibenden Weg den Kunden nicht zu enttäuschen und doch noch zu verlieren. Das ist nur möglich, wenn IT, Vertrieb und Marketing eng zusammenarbeiten.
com! professional: Wie kann die IT diesen Prozess unterstützen?
Hansen: Das kann an den verschiedensten Stellen geschehen. Es gibt Technologien, die etwa im Lead-Management die Art und Weise optimieren, wie ein Kunde empfangen, wie mit ihm kommuniziert und wie er durch die einzelnen Phasen im Vertriebsprozess geführt wird. Ähnlich sieht es in den Vertriebseinheiten aus, auch da gibt es sehr viele Technologien, die organisatorische oder prozessuale Lücken abdecken oder auch Lücken im klassischen CRM.
com! professional: Wer entscheidet künftig, welche Technologien eingesetzt werden, der IT- oder der Fachbereichsleiter?
Hansen: Im Idealfall beide zusammen. Beide haben ihre Kernbereiche und damit das Fachwissen, das zu einer optimalen Lösung beitragen kann. Je schneller man sich aneinander gewöhnt, je mehr man im Dialog steht, je besser man die Sprache des anderen spricht, um so schneller lassen sich Entscheidungen treffen und um so besser wird das Ergebnis sein.

Was auf IT-Entscheider zukommt

com! professional: Verändert das die Rolle des IT-Leiters?
Hansen: Ja, es findet eine Perspektivenverschiebung statt. Der CIO oder CTO wird Ressourcen abgeben müssen. Er wird ein kleineres Team als bisher führen, weil die Praktiker der Business-Unit-IT in die Fachabteilungen oder in eine Matrixorganisation eingegliedert werden. Er wird aber das Thema Digitalisierung als neuen Bereich hinzugewinnen. Die strategischen Themen, die sich aus der IT heraus entwickeln, werden noch interessanter und technisch breiter. Allein auf dem Laufenden zu bleiben und aktuelle IT-Themen auf Relevanz und Umsetzbarkeit für die eigene Organisation zu überprüfen, ist eine essenzielle Aufgabe. Der IT-Leiter ist auch der, der die Gesamt-IT-Strategie im Blick haben sollte. Jeder Fachbereich ist sich selbst der nächste. Trifft man auf dieser Ebene grundlegende Entscheidungen, bleiben Aspekte der Interoperabilität und Integrierbarkeit gern außer Acht.
Wer diese Themen nicht ausreichend berücksichtigt, wird langfristig seine Ziele verfehlen, mehr Umsatz und eine höhere Kundenzufriedenheit zu erreichen. Die notwendige Balance kann nur aus der übergeordneten Position einer klassischen Leitung kommen.
com! professional: Alternativ wird das Modell des CDO diskutiert, der mit einer eigenen Abteilung die Digitalisierung vorantreibt …
Hansen: Eine Aufteilung der IT in zwei Abteilungen halte ich nicht für sinnvoll. Es geht doch darum, das Ziel der Effizienzsteigerung von A bis Z stringent zu verfolgen. Zwei Posi­tionen auf höchster Hierarchie-Ebene bieten zunächst ein großes Potenzial für die gegenseitige Behinderung anstelle von Effizienzsteigerungen. Ich gehe davon aus, dass beide Funktionen – die des IT-Leiters und des Digitalisierungsverantwortlichen – in einer Person zusammengeführt werden.
com! professional: Wie weit sind die Unternehmen auf diesem Weg?
Hansen: In mittelständischen Unternehmen findet man häufiger noch das Extrem ganz klassischer Strukturen: Die IT ist isoliert, Veränderungen kommen von oben aus der Geschäftsführungsebene, werden durch mehrere Gremien gefiltert und dann angewiesen. Der IT-Verantwortliche arbeitet nicht zeitnah und aktiv an der Lösung mit, sondern bekommt sie quasi vorgeschlagen.
com! professional: Und in großen Unternehmen?
Hansen: Viele sind schon einen Schritt weiter. Ich betreue zwei Firmen aus dem Bereich der Kosmetik- und Luxusgüterindustrie, und beide sind schon seit über zwei Jahren dabei, ihre IT nach dem Modell der Business-Units aufzustellen. Sie haben zwar eine zentrale IT-Abteilung, in der die maßgeblichen strategischen Entscheidungen getroffen werden, die IT-Ressourcen wandern aber zunehmend in die Fachbereiche. Beide haben mit dem Vertrieb angefangen, dann das Marketing erweitert und sind nun dabei, andere Abteilungen mit IT-Mitarbeitern auszustatten.
com! professional: Wo liegen die größten Herausforderungen in diesem Prozess?
Hansen: Die größte Herausforderung liegt ganz klar in der Ressourcenverteilung. Ich habe gerade drei Anfragen auf dem Tisch, in denen Kunden von uns wissen wollen: Wie kann ich das Konzept Business-Unit-IT umsetzen? Wie komme ich zu Mitarbeitern, die bereit und in der Lage sind, sich sowohl mit IT wie mit fachspezifischen Themen auseinanderzusetzen? Nehme ich ITler mit Affinität zu einem Fachthema oder suche ich Spezialisten aus den Fachbereichen, die IT-Wissen mitbringen oder erwerben wollen? Suche ich intern oder extern?
com! professional: Welcher Weg ist besser?
Hansen: Ich würde immer versuchen, interne Ressourcen zu entwickeln. Wenn jemand schon mit der Kultur des Unternehmens vertraut ist, wird er in einem neuen Arbeitsbereich schneller produktiv sein, als ein Mitarbeiter, der von außen kommt. Die neuen Aufgaben sollten möglichst mit einem Karriereschritt verbunden sein und natürlich auch mit dem nötigen Fachwissen unterfüttert werden. Wenn zum Beispiel jemand aus der IT kommt und in einen Fachbereich geht, sollte er das zusätzliche Know-how über Seminare oder – eventuell sogar IHK-zertifiziert – Kurse bekommen. Das mag zwar aufwendiger sein als externes Personal zu rekrutieren, aber Sie vermeiden so einen Bruch in der Unternehmenskultur und die Chance auf Akzeptanz steigt. Eine solche Veränderung ist immer auch mit Sorgen und Ängsten bei den Mitarbeitern verbunden. Wenn ich den Prozess aktiv gestalte, mit Transparenz und Sensibilität umsetze und mit Aufstiegsmöglichkeiten verbinde, dann ist das eine runde Sache, die allen zugute kommt. Das Ganze funktioniert natürlich nur in größeren Unternehmen, die sowohl über das nötige Budget als auch über genügend Mitarbeiter mit einem breiten Spektrum an Fähigkeiten verfügen.
com! professional: Was soll ich tun, wenn ich das intern nicht leisten kann?
Hansen: Dann würde ich extern auf beiden Kanälen – also im IT-Umfeld und den Fachbereichen – nach Mitarbeitern suchen, möglichst zusammen mit einer Headhunting-Agentur.
com! professional: Wäre Outsourcing nicht eine Alternative?
Hansen: Ich würde das nicht als Grund nehmen, IT outzusourcen. Wenn sich aber ein Unternehmen aus anderen Gründen dafür entschieden hat, dann sollte es bedenken, dass ein Service-Provider zunächst einmal keinen Einblick in die internen Prozesse hat. Er kann also diese Schnittstellenfunktion der Business-Unit-IT nicht leisten. Wie weit er diesen Einblick bekommt und in seiner Arbeit berücksichtigen kann, das muss letztendlich das auftraggebende Unternehmen entscheiden.

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