Hotspot für Quantenrechner

„Ein Quantencomputer darf nie Selbstzweck sein“

von - 16.01.2023
Michael Förtsch, CEO der Q.ANT GmbH, erklärt im Interview mit com! professional, warum das Start-up bei der Entwicklung von Quantenchips auf Photonen setzt und wie Unternehmen schon jetzt von der Quantenforschung profitieren können.
com! professional: Herr Förtsch, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Quantencomputing-Forschung? Welchen Platz nehmen die EU und Deutschland dabei ein?
Michael Förtsch
CEO der Q.ANT GmbH
(Quelle: Mathis Leicht Photography )
Michael Förtsch:
In Deutschland beziehungsweise Europa wurde in den vergangenen 40 Jahren sehr gute Grundlagenforschung betrieben, vor allem im experimentellen Bereich. Das sehen wir heute auch bei der Quantenforschung. Betrachtet man die Publikationen zu Quantentechnologien und Quantencomputing, dann liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz drei. Darunter sind sehr viele Beiträge in hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschriften. Wo wir uns häufig schwertun, ist der Transfer in die Industrie. Das zeigt sich zum Beispiel an der Zahl der weltweit angemeldeten Patente, bei denen Deutschland nur Platz sechs einnimmt. Wir sind also wissenschaftlich stark, bei der industriellen Umsetzung müssen wir noch aufholen.
com! professional: Hat die Politik diese Defizite erkannt?
Förtsch: Ich denke schon. Vor Kurzem hat die Unternehmensberatung McKinsey eine Studie zu den Förderprogrammen für Quantentechnologien veröffentlicht. Demnach liegt die EU auf Platz zwei hinter China, mit Fördermitteln in einer Gesamthöhe von 7,2 Milliarden Dollar (circa 7,3 Milliarden Euro). Dass hier allein Deutschland zwei Milliarden Euro beisteuert, zeigt die Zukunftserwartungen der Bundesregierung in diese Technologie. Dabei muss klar sein: Ein Quantencomputer darf nie Selbstzweck sein. Wir müssen industrie­relevante Anwendungen für diese neuen Technologien und Konzepte erforschen und herausfinden, in welchen Bereichen diese neue Art des Rechnens funktioniert und in welchen nicht. Das sollte aus meiner Sicht in den kommenden Jahren im Vordergrund stehen.
com! professional: Welche Anwendungen könnten das sein?
Förtsch: Es existieren prinzipiell drei Klassen von Problemen: Es gibt Probleme, die sich mit der klassischen Von-Neumann-Architektur schon heute gut lösen lassen. Dafür benötigen wir keinen Quantencomputer. Dann gibt es die echten Quantenpro­bleme, etwa Molekül- und Proteinsimulationen in der Chemie oder Pharmazie. Dort brauchen wir auf jeden Fall einen Quantencomputer, aber da sind wir noch weit von der Realisierung entfernt. Es bräuchte deutlich mehr Qubits und eine wesentlich höhere Zuverlässigkeit, um diese Aufgaben zu lösen. Und schließlich gibt es die komplex-klassischen Probleme, die sich auf heutiger Standardarchitektur nur schwer
berechnen lassen, weil es zu lange, mitunter Jahre dauern würde. Das ist der spannende Bereich für die nächsten Jahre. Quantencomputing eröffnet den Zugang zu neuen Algorithmen, die genau diese Art von Problemen adressieren und schnell Ergebnisse liefern.
com! professional: Anders als Google oder IBM setzen Sie nicht auf supraleitende Quantenschaltkreise, sondern auf Photonen – warum?
Förtsch: Photonen haben den großen Vorteil, dass sich die Anzahl der verfügbaren Qubits sehr schnell erhöhen lässt. Außerdem lassen sich photonische Chips im Gegensatz zu anderen Ansätzen ohne aufwendige Kühlung betreiben. Zwar lassen sich nicht alle Quantengatter darauf ausführen, aber das ist für bestimmte Probleme auch gar nicht nötig. Für typische komplex-klassische Problemstellungen wie das Travelling-Salesman-Problem oder jede Art von Logistik-Optimierung reichen die Quantengatter völlig aus, die sich auf einem photonischen Quantencomputer einfach realisieren lassen. Das haben wir vor Kurzem am Beispiel des Plane-Gate-Assignment-Problems gezeigt, bei dem es um die optimale Verteilung von Flugzeugen auf die am Flughafen verfügbaren Gates geht. Solche Fragestellungen können wir sehr effizient lösen, unter anderem auch, weil wir das gesamte System betrachten und die elektronische mit der photonischen Welt wie kein anderer verbinden.
com! professional: Der Photonenrechner ist also kein universeller Quantencomputer, sondern eher mit einer RISC-Maschine zu vergleichen?
Förtsch: Genau, wir nennen das Special Purpose Quantum Computer. Natürlich träumen auch wir vom universellen Quantencomputer und machen uns viele Gedanken dazu. Aber ganz ehrlich: Es ist Stand heute noch in der wissenschaftlichen Diskussion, für welche Problemlösungen wir wirklich einen universellen Quantencomputer brauchen.
com! professional: Sie hatten vor rund einem Jahr angekündigt, bis 2025 einen funktionsfähigen Quantenchip entwickeln zu wollen. Ist der Zeitplan noch realistisch?
Förtsch: Im Moment sieht es sehr gut aus. Wir möchten Ende des Jahres unseren ersten steuerbaren Chip präsentieren, mit dem sich Pro­blemlösungen nicht nur emulieren, sondern tatsächlich berechnen lassen. Dann haben wir noch zweieinhalb Jahre, um die Leistung und die Prozesstechnologie zu verbessern – wobei wir natürlich erst einmal nur kleine Stückzahlen anstreben. Aber 2025 bleibt auf jeden Fall unser Ziel. Da werde ich 40, und der Chip wäre ein fantastisches Geburtstagsgeschenk.
com! professional: Es gibt ja noch andere Möglichkeiten, Qubits zu erzeugen, etwa über Ionen, Atome oder Dia­manten. Wie bewerten Sie diese Ansätze?
Förtsch: Supraleiter sind das am weitesten gereifte System, gefolgt von Ionen, Photonen, Atomen und Diamanten. Viel spannender ist aber die Frage, wie gut sich die Systeme skalieren lassen. Da sehe ich bei der Photonik enormes Potenzial, nicht zuletzt, weil wir bei der Herstellung der Chips auf etablierte Halb­leiterprozesse aufsetzen können. Bei den anderen Systemen erscheint mir der Schritt vom Labor zur Industriereife deutlich schwieriger.
com! professional: Sie sind sehr erfolgreich in der Einwerbung von Fördermitteln. Ist das die Überzeugungskraft der Photonik?
Förtsch: Deutschland hat in der Tat eine starke Historie im Bereich der Photonik, sowohl was die Förderung als auch die industrielle Umsetzung angeht. Es ist eines der erklärten strategischen Ziele der Bundesregierung, die Photonik in die Zukunft zu begleiten, unter anderem auch über das neue Feld der Quantentechnologie.
com! professional: Wie schwer ist es überhaupt, Fördermittel für Quantencomputing-Projekte zu erhalten?
Förtsch: Wenn man nur mit einem technologischen Ansatz kommt, erhält man oft keine Fördermittel, weil der ökonomische Wert fehlt. Uns ist es bisher immer gelungen, gemeinsam mit unseren Partnern die Forschungsanträge an einer konkreten Anwendung auszurichten. Jüngstes Beispiel ist das atomare Gyroskop, das beim Steuern von Mini-Satelliten im Weltall helfen soll. Zusammen mit der geplanten Anwendung unseres Kunden, in diesem Fall des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR, konnten wir die technologische Idee und die geplante Anwendung einreichen. Solche Ansätze erhöhen die Chance einer Förderzusage deutlich.
com! professional: Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf bei der Förderung?
Förtsch: Wir brauchen eine Vereinfachung der Prozesse. Die Antragstellung ist sehr aufwendig, die Verwaltung der Programme auch. Ich würde mir außerdem wünschen, dass die Bundesministerien selbst als Kunden auftreten könnten. Von so einem Schritt könnten alle Seiten enorm profitieren.
Die Ministerien und die ihnen unterstellten Organisationen hätten Zugriff auf neueste Technologie, die deutsche Start-up-Szene würde gefördert und am Ende würde der gesamte Industriestandort Deutschland durch einen modernen Staat und neue Arbeitsplätze einen Nutzen daraus ziehen.
com! professional: Was sollten Unternehmen tun, um möglichst bald von Quantencomputing zu profitieren?
Förtsch: Unternehmen sollten sich frühzeitig mit Quantencomputing, seinen Einsatzfeldern und ganz konkreten Problemstellungen beschäftigen. Wir haben Programme, in denen wir mit Firmen Use-Cases diskutieren und gemeinsam den Mehrwert von Quantentechnologie he­rausarbeiten. Persönlich kann ich nur jeden dazu motivieren, Quantencomputing selbst auszuprobieren. Machen ist noch schöner als wollen.
Verwandte Themen