Wie die EU das Internet reguliert

„Gute Regeln allein reichen nicht“

von - 10.08.2022
Mit massiver Lobbyarbeit haben Google & Co. versucht, die Ausgestaltung von Digital Markets Act und Digital Services Act zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Max Bank, der als Campaigner bei Lobbycontrol zu Macht und Einfluss von digitalen Plattformen arbeitet, bewertet im Gespräch mit com! professional, welchen Erfolg sie dabei hatten.
com! professional: Herr Bank, wie bewerten Sie die aktuellen Gesetzesvorlagen zu Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) aus Sicht von Lobbycontrol?
Max Bank
Campaigner bei Lobbycontrol
(Quelle: Lobbycontrol )
Max Bank:
Beide Gesetze sind wichtige Schritte hin zu einer besseren Regulierung der mächtigen Internetplattformen. Der Digital Markets Act enthält sehr gute Regelungen, beim Digital Services Act wäre vor allem in Bezug auf personalisierte Werbung mehr drin gewesen. Teile des EU-Parlaments hatten sich ja sogar für ein komplettes Verbot von Targeted Advertising ausgesprochen. Davon ist der Entwurf weit entfernt. Insgesamt kann man aber sagen, dass beide Gesetze ganz gut gelungen sind.
com! professional: Liegen die Unterschiede zwischen DMA und DSA auch daran, dass eine stärkere Regulierung der Gatekeeper im DMA Teilen der Wirtschaft nützt, während der DSA eher den Schutz der Verbraucher im Blick hat?
Bank: Ich denke, das kann man so sagen. Verlage sowie viele kleine und mittlere Unternehmen in der Internetwirtschaft profitieren von einem starken Digital Markets Act. Deshalb haben sie sich auch in großer Zahl im Gesetzgebungsprozess engagiert und ihr Know-how eingebracht. Es gibt beispielsweise die Coalition for Competitive Digital Markets, die gezeigt hat, dass Interoperabilität technisch machbar ist. Eine solche Gegenstimme zu den Big-Tech-Konzernen, die immer versucht haben, die technische Machbarkeit in Zweifel zu ziehen, war außerordentlich wichtig.
„Vor allem das Europäische Parlament hat sich einem enormen Lobbydruck widersetzt und ist energisch für gute Regeln eingetreten.“
Beim DSA gab es dagegen eine Allianz der Online-Werbeindustrie mit den Verlegerverbänden. Letztere haben in Deutschland, aber auch europaweit sehr viel Einfluss, während sich Google & Co. noch schwer tun, einen direkten Draht zu den politischen Entscheidungsträgern aufzubauen. Es ist daher kein Wunder, dass das ursprünglich angedachte Verbot von Targeted Advertising gekippt wurde.
com! professional: Wie groß war der Einfluss der Digitalkonzerne insgesamt auf die Gesetzgebung?
Bank: Zunächst einmal möchte ich den politischen Entscheidungsträgern ein großes Kompliment machen. Vor allem das Europäische Parlament hat sich einem enormen Lobbydruck widersetzt und ist energisch für gute Regeln eingetreten. Auch einige Mitglieder der Kommission waren sehr ambitioniert.
Was den DMA betrifft, war der Druck beim Thema Interoperabilität besonders hoch und teils auch erfolgreich. So wird die Kommunikation zwischen Messenger-Diensten nur schrittweise und sehr verzögert eingeführt, obwohl das technisch kein großes Problem ist. Hier hat die Digitallobby eindeutig gesiegt. Ähnliches gilt für die Integration von Social-Media-Kanälen. Das Parlament hat zwar auf mehr Interoperabilität gedrängt, konnte sich aber gegenüber der Kommission nicht durchsetzen.
com! professional: Welche Big-Tech-Konzerne betreiben besonders viel Lobbyarbeit?
Bank: Nach unserer Beobachtung treten Google und Meta am aggressivsten auf. Apple positionierte sich vor allem gegen eine Öffnung seiner Dienste und argumentierte dabei mit seinem hohen Datenschutzniveau. Das hat politisch tatsächlich verfangen, obwohl das natürlich Unsinn ist. Insgesamt zeigt sich Apple aber eher regulierungsfreundlich. Amazon verhält sich erstaunlich still und ist schwer wahrnehmbar. Auch in Verbänden und Denkfabriken ist das Unternehmen deutlich weniger aktiv als andere Big-Tech-Konzerne. Von den chinesischen Technologieunternehmen betreibt auf europäischer Ebene nur Huawei erkennbare Lobbyarbeit.
com! professional: Was sind die Hauptstrategien der Lobbyisten?
Bank: Von Google wissen wir das ziemlich genau, denn es gibt ein geleaktes Strategiepapier. Typisch ist beispielsweise die Unterstützung sogenannter Thinktanks, die dann scheinbar unabhängige Studien herausgeben. So hat beispielsweise das European Centre for International Political Economy (ECIPE) eine von Google finanzierte Studie zum DSA veröffentlicht, in der der Thinktank behauptet, die neue Richt­linie bedrohe zahlreiche Jobs in Europa und hätte einen negativen Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt. Die dazu veröffentlichten Zahlen sind laut dem ehemaligen Chefökonomen der EU-Wettbewerbsdirektion Tommaso Valletti allerdings völlig haltlos.
Gerne wird auch mit der „chinesischen Gefahr“ gedroht, dass also chinesische Anbieter alles übernehmen würden, wenn sich die US-Konzerne wegen der Überregulierung aus dem europäischen Markt zurückziehen.
com! professional: Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) warnt vor Rechtsunsicherheiten im Bereich des Daten- und Privatsphärenschutzes, die durch den DSA verursacht würden. Wie sehen Sie das?
Bank: Wir haben uns hauptsächlich mit den Akteuren auf EU-Ebene beschäftigt, daher kann ich die Aussage des BVDW nicht beurteilen. Es ist aber eine übliche Lobbystrategie, Zweifel an der Rechtswirksamkeit von Gesetzen zu säen.
com! professional: Zum Zeitpunkt dieses Interviews sind die Entwürfe noch nicht final veröffentlicht. Was kann jetzt noch schiefgehen?
Bank: Es gibt sicher noch Detailänderungen, aber sie werden wohl minimal sein. Viel wichtiger ist, wie die Regelungen in der Praxis ausgelegt werden. Außerdem ist noch ungeklärt, welche Ressourcen die EU-Kommission zur Verfügung stellen wird und welche Rolle die lokalen Behörden in den Mitgliedsstaaten spielen. Vor allem der Digital Markets Act steht und fällt mit einer ausreichenden personellen Ausstattung. Gute Regeln allein reichen nicht, man muss sie auch durchsetzen können, das haben die Erfahrungen mit der Datenschutz-Grundverordnung sehr deutlich gezeigt.
Aktuell sieht die EU-Kommission für den DMA im ersten Jahr nur 20 Vollzeitäquivalente, später 80 Vollzeitstellen vor. Im Vergleich dazu will Großbritannien mit einem deutlich kleineren Markt für seine Digital Market Unit über 200 Leute einstellen. Teile des DMA unterliegen zudem einem sogenannten regulatorischen Dialog – ein Einfallstor für Big-Tech-Interessen, vor dem wir, aber auch einige Mitgliedstaaten dringend gewarnt haben. Schließlich muss man bedenken, dass die Regelungen voraussichtlich erst im Mai 2024 wirksam werden. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Verwandte Themen