Düstere Vergangenheit

Conti war in NS-Zeit "Stützpfeiler der Kriegswirtschaft"

von - 28.08.2020
Continental
Foto: 360b / shutterstock.com
Viele Unternehmen haben ihre Rolle in der NS-Zeit aufarbeiten lassen. Conti ist spät dran, legt nun aber eine großangelegte Auftragsstudie vor. Sie ergibt ein erschreckendes Bild. Der Konzern will daraus lernen - auch mit Blick auf das angespannte politische Klima heute.
KZ-Häftlinge, die Gummisohlen "testen" mussten, systematisch schikaniert und oft getötet wurden. Einsatz Tausender Zwangsarbeiter in kriegswichtigen Betrieben. Diskriminierung und Ausgrenzung jüdischer Kollegen.
Die Untersuchung des Historikers Paul Erker über Continentals Verstrickungen mit dem NS-Regime umfasst mehr als 800 Seiten, die es in sich haben. Und sie wirft ein Schlaglicht auf den schleichenden Wandel vom international vernetzten Unternehmen zum Teil der Ausbeutungsmaschinerie eines totalitären Systems.
"Eigentlich ist das für den Leser eine Zumutung", sagt der Forscher. Aber "die Komplexität der Transformation von Continental zu einem nationalsozialistischen Musterbetrieb nachzuzeichnen", sei nötig gewesen. Vorstandschef Elmar Degenhart bestätigt: "Die Lektüre war an vielen Stellen sehr bedrückend." Was Erker über die Rolle des heutigen Dax-Konzerns in der Rüstungswirtschaft des Dritten Reichs herausfand, sei beklemmend. Ein Gebot, aus der Geschichte zu lernen.
Continental und auch später in den Konzern gekommene Firmen wie VDO, Teves, Semperit oder Phoenix dienten von 1933 bis 1945 zumindest in Teilen einem Zweck: der Zulieferung zentraler Bestandteile von Konsum- und Rüstungsgütern im Sinne der NS-Führung. Erker zeigt dies vor allem für die "strategischen Rohstoffe Kautschuk und Gummi".
Es ging um Reifen für Militärautos oder Schuhabsätze für Armeestiefel - aber auch Schläuche für Panzer-Bremssysteme oder Teile für Flugzeuge, Batteriekästen und Steuergeräte der V1-Waffe. Conti sei ein wichtiger Akteur in einer Branche gewesen, die "das eigentliche Rückgrat der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegswirtschaft" bildete.

Schuhprüfstrecke im KZ Sachsenhausen

Zur Herstellung und Erprobung etlicher Basisprodukte griff man auf Zwangsarbeiter und in den letzten Kriegsjahren auch auf Insassen von Konzentrationslagern zurück. Ein besonders makabres Beispiel, das Erker schildert, war die "Schuhprüfstrecke" im KZ Sachsenhausen: "Die jeweiligen Leiter waren für ihre Brutalität bekannt, und es gab zahlreiche Fälle vorsätzlicher Ermordung von dort eingesetzten Häftlingen." Über Stunden ohne Pause, Dutzende Kilometer weit, häufig ohne Strümpfe und auch bei Frost drehten "Schuhläufer" ihre Runden, teils "unter Absingen deutscher Marschlieder". Es gab Prügel von SS-Leuten. "Und jede Runde kamen sie am Galgen des KZ-Lagers vorbei."
Derlei Szenen sollen keine Einzelfälle gewesen sein. Laut Continental wurden manche der rund 10.000 Zwangsarbeiter "bis zu Entkräftung und Tod ausgebeutet und misshandelt". Man habe sie auch in der Fertigung von Gasmasken oder der Verlagerung der Produktion unter Tage eingesetzt. Erker recherchierte dazu auch im Conti-Firmenarchiv.
Was tat das Management? Es war laut Studie über weite Strecken "aktiv involviert". Es profitierte von der Aufrüstung - das ist eine der Hauptthesen in "Zulieferer für Hitlers Krieg. Der Continental-Konzern in der NS-Zeit", anhand derer Erker auch Einzelschicksale schildert.
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