Kommt das Zweiklassen-Internet?

Pro und contra Netzneutralität

von - 10.06.2015
Philipp Blank, Corporate Communications, Deutsche Telekom AG
Philipp Blank, Corporate Communications, Deutsche Telekom AG
Die Befürworter einer Netzneutralität im engen Sinn wollen die Netzwerke auf den bloßen Datentransfer beschränken. Das Netz soll transparent sein. Es soll die Daten, die es transportiert, nicht beobachten, filtern oder transformieren, sondern blind sein gegenüber dem Inhalt der Pakete.
Netzneutralität garantiert, dass sich neue Inhalte, Angebote und Dienste auch kleiner Anbieter im Internet durchsetzen können, und begegnet der Gefahr einer Zersplitterung des Internets. Nicht das Netz an sich erschafft Werte, sondern seine Nutzer und deren Anwendungen.
Angesichts der massiven wirtschaftlichen Interessen der Netzbetreiber kann nur eine gesetzliche Verpflichtung zur Netzneutralität die Wahrung des Prinzips gewährleisten. Andernfalls droht die Diskriminierung von Inhalte-Anbietern oder der Ausschluss vor allem kleinerer Wettbewerber auf Content-Märkten. Für die Nutzer wäre dann nicht erkennbar, ob eine Webseite vielleicht nur deswegen nicht mehr aufgerufen werden kann, weil der Anbieter keinen Vertrag mit dem eigenen Provider hat.
Datenvolumen in deutschen Mobilfunknetzen
Datenvolumen in deutschen Mobilfunknetzen: Das Datenvolumen soll sich innerhalb von fünf Jahren nahezu verzehnfachen.
Für Netzneutralität treten auch große Unternehmen wie Google und Microsoft ein, die bislang einen signifikanten Anteil des weltweiten Datenverkehrs verursachen, ohne für die Kosten aufzukommen.
Nicht eingeschränkt werden muss die Netzneutralität auch für neue Dienste, etwa im medizinischen Sektor, bei denen ein bevorzugter Datentransport sinnvoll erscheint – sofern diese neuen Dienste nicht über das Internet, sondern in einem eigenen Netzwerk laufen.

Interview mit Philipp Blank, Corporate Communications, Deutsche Telekom AG

com! professional: Was spricht gegen eine generelle Gleichbehandlung von Datenpaketen?

Philipp Blank: Das Internet ist bunt und vielfältig und bringt Dienste hervor, an die bis vor Kurzem noch niemand gedacht hat. Die strikte Gleichbehandlung von Datenpaketen könnte die Entwicklung von innovativen Diensten verhindern – und war übrigens auch nie vorgesehen. Neue Dienste haben häufig höhere Qualitätsanforderungen als das einfache Surfen oder die E-Mail, die auch ein paar Sekunden später ankommen kann. Eine Videokonferenz sollte beispielsweise auch zu Stoßzeiten im Netz nicht ins Stocken geraten. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen bleiben, dass die Daten empfindlicher Dienste im Stau Vorfahrt bekommen.

 

com! professional: Kommt bald eine Art Internet-Maut, bei der man für die Nutzung der schnellen Datenautobahn extra bezahlen muss?

Blank: Schon heute können Nutzer im Netz selbst entscheiden, wie viel Service sie wollen und was ihnen dieser Service wert ist: So kostet beispielsweise mehr Speicherplatz für Mails extra, genauso wie erweiterte Suchfunktionen bei Xing und LinkedIn oder Videos in HD statt SD. In Zukunft wird es eben auch die Möglichkeit geben, einen Dienst für ein paar Euro mehr in gesicherter Qualität zu buchen. Das ist keine Revolution im Netz, sondern die natürliche Weiterentwicklung.

 

com! professional: Welche Argumente der Befürworter der strikten Netzneutralität können Sie nachvollziehen?

Blank: Das Internet hat als Informationsmedium zweifellos eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Es muss deshalb frei, offen und ohne Diskriminierung bleiben. Die Debatte muss sich also um grundsätzliche Spielregeln drehen. Ein staatlich diktiertes Einheitsnetz darf aber nicht dabei herauskommen.

com! professional: Was wären sinnvolle Dienste und Anwendungen, die bevorzugt befördert werden sollten?

Blank: Dafür kommen alle Dienste infrage, für die eine gesicherte Übertragungsqualität sinnvoll ist. Das Beispiel Videokonferenzen hatte ich schon genannt. Online-Games wären ein weiteres. Im Bereich der Telemedizin entstehen auch viele neue Dienste, für die das sinnvoll ist, beispielsweise um Daten aus dem Rettungswagen in die Klinik zu transportieren. Auch die automatisierte Verkehrssteuerung, die über das Internet Staus vermeidet, sowie vernetzte Produktionsprozesse der Industrie brauchen gesicherte Qualität. Nur so funktionieren diese Dienste unabhängig vom aktuellen Datenaufkommen im Netz.

 

com! professional: Wie sehen die Pläne der Telekom diesbezüglich aus?

Blank: Wie die anderen Netzbetreiber wollen auch wir qualitätsgesicherte Dienste ermöglichen. Das Argument, kleine Anbieter könnten sich das nicht leisten, stimmt nicht: Nach unseren Vorstellungen wäre eine Umsatzbeteiligung von ein paar Prozent möglich. Das wäre ein fairer Beitrag für die Nutzung der Netzinfrastruktur, auf der Internetdienste beruhen. Denn die Netzbetreiber stehen vor dem Dilemma, dass sie Milliarden in die Infrastruktur investieren sollen, ihre Umsätze aber schrumpfen – vor allem weil die Regulierung bisher ihren Schwerpunkt auf günstige Preise gesetzt hat.

 

com! professional: Wie beurteilen Sie die Entscheidung der FCC, die die Netzneutralität in den USA weitgehend zementiert hat?

Blank: Wenn man sich die FCC-Entscheidung im Detail durchliest, ermöglicht sie durchaus auch Dienste mit gesicherter Qualität. Das bedeutet, dass die Behörde der Entwicklung von neuen Diensten keine Steine in den Weg legt. Allerdings bekommt die FCC jetzt erstmals die Möglichkeit, Breitbanddienste zu regulieren. Das können die europäischen Regulierer schon länger und greifen seit Jahren massiv in den Markt ein. Wie sich das auf die Investitionen der Unternehmen auswirkt, bleibt abzuwarten.

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