Digitale Transformation

„Diese Geschäftsmodelle sind oft zweifelhaft“

von - 09.02.2016
Kritiker Andrew Keen über die Digitale Transformation
Foto: Foto: nmedia / Shutterstock.com
Andrew Keen ist ein prominenter Kritiker der digitalen Revolution. Im Interview mit com! professional zeigt der Blogger und Autor auf, wie sich die Digitalisierung auf die Gesellschaft auswirkt.
com! professional: Ihr neustes Buch heißt „The Internet Is Not The Answer“. Wie lautete die Frage?
Andrew Keen: Wie können wir die vernetzte Welt des 21. Jahrhunderts zu unserem Vorteil nutzen?
com! professional: Und das Internet hat darauf keine Antwort?
Andrew Keen
Andrew Keen: Blogger und Buch-Autor
(Quelle: Markus Senn)
Keen: Nein. Die digitale Revolution sollte viele wundervolle Dinge mit sich bringen, beispielsweise mehr Jobs und eine reichere Kultur. Doch statt Wohlstand hat uns das Internet größere soziale Unterschiede, mehr Arbeitslose und eine Wirtschaft gebracht, in der mächtig ist, wer andere überwachen kann. Dabei war die Idee von Tim Berners-Lee und anderen Vordenkern in erster Linie, das Internet als soziales Instrument zu nutzen.
com! professional: Was ging schief?
Keen: Zu Beginn war das Internet überhaupt nicht kommerziell ausgelegt, seit rund zwei Jahrzehnten ist es aber nur noch das. Dieser Wechsel war viel zu radikal. Er hat Firmen wie Google oder Facebook hervorgebracht, die uns kostenlos Dienste offerieren, wenn wir ihnen dafür unsere Daten geben. Wir haben mit dem Internet erhalten, was wir verdienen.
com! professional: Was meinen Sie damit?
Keen: Wir nehmen uns immer wichtiger, mittlerweile wollen wir alles bekommen, aber gratis. Wir sind auf den ältesten Trick der Welt hereingefallen: Wir wollen etwas, das nicht existiert.
com! professional: Ein mindestens genauso altes Gesetz lautet: Wenn niemand ein Produkt will, wird es auch nicht verkauft.
Keen: Das stimmt nicht. Bis zur digitalen Revolution waren die Menschen zufrieden, wenn sie Bücher, CDs oder Zeitungen kaufen konnten. Das Internet hat diese Geschäftsmodelle zerstört und Piraterie gefördert. Die Leute haben auf­gehört, einzukaufen. Aber das ist kein natür­licher Prozess. Es würde doch niemand auf die Idee kommen, sein Essen oder das Auto mit persönlichen Daten zu bezahlen. Die Geschäftsmodelle von Facebook und Google sind deshalb auf lange Sicht nicht erfolgversprechend.
com! professional: Niemand ist gezwungen, die Gratis-Dienste zu nutzen. Die Leute wissen, was sie damit aufgeben.
Keen: Das glaube ich nicht. Vielleicht einige wenige, die logisch an die Sache herangehen und sich wissentlich dafür entscheiden, Daten preiszugeben. Aber die meisten Menschen sind wütend, auf welche Art diese Firmen Katz und Maus mit einem spielen. Das sieht man immer häufiger, besonders stark natürlich seit dem NSA-Skandal. Die Geschäftsmodelle der Silicon-Valley-Firmen sind ja oft zweifelhaft. Beispielsweise kann Uber günstige Fahrten offerieren oder Zalando günstige Bekleidung verkaufen, weil die Mitarbeiter ausgebeutet werden. Oder wenn Firmen wie Instagram oder WhatsApp Erlöse mit Werbung erzielen, die dann den Medien fehlen, die wichtig für die Demokratie sind.
com! professional: Ist das der Grund, warum Sie in Ihrem Buch nur sehr wenige lobende Worte für die Exponenten des Silicon Valley finden?
Keen: Ja. Diese Leute wurden noch vor Jahren als Nerds abgetan, die keine Frau abbekommen. Heute sind sie die Speerspitze der Gesellschaft. Das ist an sich eine begrüßenswerte Entwicklung. Allerdings sehen sich viele von ihnen nach wie vor als Rebellen, die gegen das System kämpfen. Sie kapieren nicht, dass sie das neue Establishment sind. Dabei müssten sie diese Rolle annehmen und verantwortlich handeln. Es gibt Leute, die das versuchen, etwa Mark Zuckerberg. Zu Beginn kritisierte er lediglich, mittlerweile investiert er Hunderte Millionen Dollar in die Bildung. Er versucht, ein verantwortungsvoller Bürger zu werden. Die Zeit wird zeigen, ob er es schafft, aber das ist die Art Veränderung, die wir brauchen.
com! professional: Sie bezeichnen Mark Zuckerberg als autistisch, Amazon-Chef Jeff Bezos, Uber-Gründer Travis Kalanick und Investor Peter Thiel als „moderne Räuberbarone“. Spricht da Neid aus Ihnen, weil Sie selbst im Silicon Valley weniger Erfolg hatten?
Keen: Sicher nicht. Ich konnte zwar nie das ganz große Geld machen, mich aber im Markt profilieren. Diese Intoleranz gegenüber Leuten, die etwas riskieren und scheitern, gibt es nur im deutschsprachigen Raum. Entsprechend seid ihr auch risikoscheu.
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