Collaboration braucht Vertrauen in die Teams

com! professional im Interview mit Dr. Stefan Birk

von - 04.12.2015
Dr. Stefan Birk

Interview

„Unternehmen müssen sich komplett ändern“
Dr. Stefan Birk untersucht am Institut für Arbeitsdesign und Zukunftstechnologien e.V. (ifaz) wie wir zukünftig arbeiten und kommunizieren werden. Im Interview mit com! professional erklärt er, was sich ändern muss, damit die Visionen vom grenzenlosen und flexiblen Zusammenarbeiten nicht zum Alptraum werden.
com! professional: Herrr Dr. Birk, Sie haben in Ihrer Metastudie „Wie wir morgen arbeiten“ über 170 Quellen ausgewertet, die sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigen. Welche der Trends, die Sie gefunden haben, verändern aktuell die Zusammenarbeit in Unternehmen besonders stark?
Dr. Stefan Birk: Bei unserer Arbeit haben sich vier Hauptströmungen herauskristallisiert, die wir Megatrends genannt haben. Dies sind die Digitalisierung, der demographische Wandel, die Globalisierung und der Wertewandel. In der aktuellen Phase prägt besonders die Digitalisierung die Arbeitswelt. Sie stellt die gesamten Prozesse in Unternehmen in Frage und verändert die Mobilität, zeitlich und räumlich gesehen. Neben diesen Megatrends haben wir noch acht Trends der Arbeitswelt definiert, die mit dem Megatrends zusammenhängen, wenn oft auch nur sehr indirekt. Davon will ich zwei nennen, die aus unserer Sicht aktuell besonders bedeutsam sind. Das sind zum einen neue Technologien wie elektronische Assistenten oder Robotik, die durchaus auch hochqualifizierte Wissensarbeiter durch Maschinen ersetzen können. Das zweite ist das Thema Arbeitskultur, die immer stärker in den Fokus der Unternehmen gerät und die sehr wesentlich ist für alle modernen Formen der Arbeit.
com! professional: Viele Mitarbeiter sind von den modernen Möglichkeiten der Zusammenarbeit auch überfordert. Die Always-on-Mentalität führt zu Überlastung bis hin zum Burn-out. Wie muss eine Arbeitskultur beschaffen zu sein, um dem gegenzusteuern?
Birk: Die Frage ist doch: Sind die Unternehmen überhaupt dafür zuständig, die Ausbildung ihrer Angestellten auf diesem Gebiet zu übernehmen? Auf der einen Seite wollen Mitarbeiter immer Ernst genommen und in ihren Freiheiten nicht beschränkt werden, auf der anderen soll sich der Arbeitgeber darum kümmern, wenn seine Angestellten abends ihre Mobiltelefone nicht weglegen können. Wenn Unternehmen aber tatsächlich dafür zuständig sind, die Mitarbeiter vor dieser Überforderung zu schützen, stellt sich gleich eine weitere Frage: Wie sollen sie das tun? Zwangsmaßnahmen wie das Abschalten der Mail-Server um 18 Uhr helfen wenig und beleidigen eher die Intelligenz der Mitarbeiter. Die sind ja nicht dämlich und umgehen solche Sperren locker, was die Unternehmen womöglich implizit sogar von ihnen erwarten. In anderen Ländern, etwa in Skandinavien, gibt es diese seltsamen Diskussionen im Übrigen gar nicht. Dort ist es völlig normal, wenn man mal früher nach Hause geht. Und genau so normal ist es, abends um 21 Uhr von zu Hause aus noch einmal die Mails zu checken. Wenn Sie aber in einer Zwangskultur leben, in der man den Arbeitsplatz nicht vor 20 Uhr verlassen darf, wenn man Karriere machen will, und um 4:30 Uhr die Mails des Chefs beantworten muss, weil der eben gerne früh aufsteht, dann haben Sie diesen Druck des Always-on und der ständigen Erreichbarkeit. Der kommt aber aus einer anderen Ecke, die Technologie ist nicht Schuld daran. Sie können mit Technologieschulungen nichts erreichen, wenn gleichzeitig das Dogma existiert: Wer 16 Stunden arbeitet, hat gewonnen.
com! professional: Die Verantwortung liegt also beim Einzelnen?
Birk: Ja und nein. Natürlich ist jeder für sein Verhalten selbst verantwortlich. Auf der anderen Seite müssen Unternehmen tiefgreifende Veränderungen in der Kultur vornehmen und die häufig noch vorherrschenden superhierarchischen Strukturen aufbrechen, wenn sie tatsächlich ihre oft und gerne herausgestellten sozialen und kulturellen Ziele erreichen wollen. Es hilft beispielsweise wenig, offiziell die Elternzeit für Väter zu propagieren, wenn diese in den Abteilungen ein Karrierekiller ist, wie es in vielen Unternehmen geschieht. Unsere heutige Arbeitskultur ist zu sehr im Alten verhaftet. Die neuen Möglichkeiten und die alte Welt passen nicht zusammen, was zwangsläufig zum Missbrauch des technologisch Möglichen führt. Wenn wir also noch einmal die Frage aufgreifen, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter vor Überforderung schützen können, dann lautet die kurze Antwort: Ihr müsst euch komplett ändern, wenn ihr diese Effekte verhindern wollt.
com! professional: Wir haben über die negativen Aspekte der neuen Technologien gesprochen. Welche Vorteile bringen sie denn dem Einzelnen und dem Unternehmen?
Birk: Diese sind natürlich unterschiedlich und alles andere als deckungsgleich. Die Individualisierung des Arbeitsumfeldes ist durch die neuen Technologien so groß wie nie zuvor. Man kann sich aussuchen, wann, wo und mit wem man arbeitet. Man kann viel an Autonomie gewinnen, wenn man die neuen Arbeitsmittel richtig einsetzt. Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen, die vor allem gerne Prozesse optimieren und die Effizienz verbessern wollen. Das kann durchaus mit den Wünschen des Einzelnen nach mehr Autonomie kollidieren. Das ist auch eine Machtfrage.
com! professional: Und wer gewinnt dieses Spiel?
Birk: Die Antwort darauf ist längst nicht mehr so einfach wie noch vor ein paar Jahren. Das war ja alles besprochen, die Arbeitsgeber bestimmen und die Arbeitnehmer fügen sich. Heute stellen Bewerber Fragen nach Arbeitszeit und Flexibilität, das hätte ich mich am Anfang meiner beruflichen Karriere in den 1990ern nie getraut. Diese Machtverschiebung lässt die Unternehmen nervös werden. Sie müssen sich plötzlich fragen: Wie kann ich fähige, kreative und motivierte Mitarbeiter bekommen und halten? Das betrifft vielleicht nicht unbedingt, die BMWs und Googles dieser Welt, aber das mittelständische Unternehmen, das seinen Firmensitz womöglich noch fern einer Großstadt hat, wird zunehmend bei der Suche nach hochqualifiziertem Personal Probleme bekommen. Auf der anderen Seite sehen wir aber den gegenläufigen Trend, dass viele wirklich qualifizierte Arbeiten technologisch unterstützt oder sogar automatisiert durchgeführt werden können, ich hatte das bereits erwähnt. Eine Studie behauptet sogar, dass es alle Jobs, die mit Makeln zu tun haben, etwa im Investmentbanking, in 10 bis 15 Jahre nicht mehr geben wird. Die Sicherheit, ich bin in einem hochqualifizierten Wissensjob und kann nicht ersetzt werden, scheint so langsam zu schwinden.
com! professional: Worauf sollten Unternehmen bei der Auswahl und der Einführung von Collaboration-Lösungen besonders achten?
Birk: Mir kommt da das Beispiel eines mittelständischen Unternehmens in den Sinn, das ein sehr interessantes Modell für Wissensarbeit entwickelt hat. Die Beteiligten haben sich an zwei Punkten orientiert, die gar nichts mit technologischer Finesse zu tun haben. Erstens: Die Collaboration-Lösungen sollten nicht so weit weg sein von der Zusammenarbeit, die Menschen seit jeher pflegen. Das sollte sich nicht nur in den Prozessen widerspiegeln, sondern auch im Aussehen der Benutzeroberfläche. Zwitens: Der Business Case muss für alle klar sein. Die Unternehmen müssen hundertprozentig daran glauben und sie müssen es an harten Fakten festmachen können. Die neue Lösung sollte am besten quantitativ messbare Verbesserungen bringen, aber auch jenen das Leben erleichtern, die mit der Software Tag für Tag umgehen müssen. Es hat zum Beispiel keinen Sinn, ein Wissensmanagement einzuführen, wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben „Ich investiere Zeit und Know-how, und die anderen haben die Vorteile.“ Ob Sie eine einfache Software einführen oder ein komplexes System – für die Betroffenen muss dabei etwa herausspringen und was das ist, müssen sie von Anfang wissen, sonst wird ein solches Projekt scheitern.
com! professional: Auf welches Collaboration Tool würden Sie persönlich auf keinen Fall mehr verzichten wollen?
Birk: Ich finde Trello recht nützlich, das ist relativ nah dran an dem, wie Leute arbeiten. Auch Yammer finde ich persönlich ganz hilfreich.
com! professional: Und was nervt am meisten?
Birk: Wenn jede Abteilung ihr eigenes System einsetzt. Viele Lösungen sind ja recht preiswert oder sogar kostenlos, deshalb sind die Hürden niedrig „mal was Neues“ auszuprobieren. Dann haben die Entwickler ihr eigenes Tracking-Tool, der Vertrieb sein CRM und das Marketing ein Projektmanagement und jeder glaubt, die anderen schauen da auch rein, was sie aber nicht tun. Diese babylonische Sprachverwirrung nervt viele in der Praxis. Wenn man als IT-Abteilung oder Geschäftsführung nicht massiv darauf drängt, dass sich alle auf ein System einigen, dann hat man dieselben Probleme in der Kommunikation und im Wissenstransfer wie vorher, sie sind nur besser versteckt.
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